Montag

Der Führer-Komplex (30.6.06)

Der "Führer-Komplex" (Complexus Adolphus) ist ein Phänomen und Sydrom dass ich schon seit vielen Jahren in meinen germanisch-stämmigen Mitmenschen beobachte.


Wie oft haben wir es schon erlebt: sobald man ansetzt, das Auto vor uns zu überholen, steigt der Fahrer auf's Gas, aber nur so lange, bis wieder Gegenverkehr herrscht und man ihn nicht länger überholen kann. Dann tuckert er weiter mit seinen gemächlichen und vorsichtigen 70km/h vor sich hin, mit einer Kilometer langen Schlange von frustrierten und zornigen Fahrern hinter sich.
Er möchte gern "der Führer" sein.
Wie gesagt habe ich dieses Phänomen schon lange beobachtet, aber erst diese Woche habe ich jemanden damit tatsächlich "diagnostiziert". Es scheint als ob die WM und die Masse Fahnen-schwingender Deutscher eine Reaktion ausgelöst hat, eine Art Epidemie, die den schlummernden Virus des Complexus Adolphus in vielen erweckt hat.
Der Deutsche will und braucht einen Führer, und wenn er keinen hat, nun, dann ist er eben sein eigener. Der Führer in uns ist ein Puritaner. Wie bereits sein großes Vorbild aus den 30er und 40er Jahren, besteht er darauf, die unerwünschten Elemente aus seiner Umgebung, seinem Revier, seinem "Reich" zu entfernen. So z.B. die Direktorin an der Schule meines Sohnes Benjamin. Benjamin ist nicht gerade das was man einen Musterschüler nennt. In einem Religionstest beschrieb er einst die Religion von Jesus as "Sex, Drugs & Rock'n'Roll" und dachte das Wort "Messias" hätte was mit Seife zu tun. Und wenn man sich dabei erwischen lässt wie man Küchengewürze an Mitschüler als Marihuana verkauft (ich frage mich von wem der Junge das bloß hat...), dann macht man sich eben Feinde. Und so landet man leicht im Abseits oder Auschwitz der großen Machtperson, der man ein Dorn im Auge ist, wie im Falle userer Direktorin, die uns liebevoll dazu überreden wollte unsere Einwilligung zu geben, Benjamin in "seinem besten Sinne" auf eine Sonderschule zu schicken, nachdem sie unter verbalen Missbilligungen und Beschimpfungen feierlich geschworen hatte, Benjamin von "ihrer" Schule zu beseitigen.
Der Historiker Arnold Toynbee schrieb einst, "Das einzige das wir aus der Geschichte lernen ist, dass wir nie aus der Geschichte lernen." Ich glaube nie war diese Aussage so wahr wie bei den Deutschen. Und während die Erinnerung an die Geschehnisse von vor 70 Jahren immer mehr im Alkoholkonsum unserer Kinder (und Eltern) versinken und der Führer-Komplex in vielen um mich herum von Tag zu Tag stärker wird, bekomme ich ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. Eine Zeile meines Liedes "
Herrenrasse" kommt mir in den Sinn: "Der nächste Führer kommt bestimmt."
Wie wahr, wie wahr schrieb einst Dietrich Bonhoeffer (ein weiteres "unerwünschtes Element" im Reich des Führers) im Gefängnis: "Dummheit ist ein gefährlicherer Feind des Guten als Bosheit." (Siehe das Kapitel "Von der Dummheit" in Bonhoeffers Buch "Widerstand und Ergebung," die vielleicht beste Analyse der Deutschen schlechthin - damals wie heute.)

Keine Kommentare: